Die Tänzerin


 

Das Fest trieb auf seinen Höhepunkt zu. Der Marktplatz wimmelte nur so von Menschen, die nichts anderes im Sinn hatten, als sich nach Kräften zu vergnügen. Gaukler, Feuerschlucker, mindere Zauberer, die ihre Tricks vorführten und all das überlagert vom Duft der Köstlichkeiten, die an den Ständen angeboten wurden. Sogar eine komplette Tanztruppe hat sich eingefunden und gerade dort sammelte sich eine Traube von erstauten Zusehern. Der Grund dafür war Nathalia. Elfengleich und mit einer kaum zu beschreibenden Anmut tanzte sie auf den rohen Planken der Bühne zu den Klängen einer Schalmei, die von einem ganz in grün gekleideten Zwerg gespielt wurde. Schneller und schneller ging ihr Tanz, die Schleier die sie trug wirbelten wie Nebelschwaden im Wind. Nathalia schaffte es immer wieder, das Publikum in ihren Bann zu ziehen.

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In der dunklen Seitengasse, in die der Lärm des Festes kaum noch drang, sprachen zwei finstere Gestalten miteinander. Der eine, dessen Gesicht im Schatten der seinen Kopf umhüllenden Kapuze lag, war Lord Smiag von Theret. Er war einer der Lords im Rat, die zwar auf eine ruhmreiche und lange Vergangenheit zurückblicken konnten, heute aber mehr oder minder ohne wesentlichen Einfluss waren. Und genau das wollte Smiag ändern. Deshalb traf er sich heute mit Hergart, dem Anführer eine Bande von gesetzlosen Gesellen. „Es muss alles so ablaufen wie geplant. Sind Eure Männer bereit ?“ frage flüsternd Smiag. Hergart nickte und blickte den Lord mit seinen verschlagen Augen an. „Ja, Herr. Wenn Ihr Eure Versprechen einlöst, dann werden wir für ein Fest sorgen, an das noch lange gedacht wird. Habt Ihr das Gold bei Euch ?“ Lord Smiag nestelte in den Taschen seiner weiten Kutte und brachte ein prall mit Golddublonen gefülltes Säckchen zu Tage, das er an Hergart weiterreichte. „Und vergesst nicht, Ihr greift ein, wenn Nathalia den Tanz der Erde beginnt. Tötet soviele wie möglich, aber seht, dass keiner von Eueren Leuten zurückbleibt. Der Lump auf dem Thron muss glauben, dass seine geliebten Untertanen von den Berg-Clans angegriffen wurden.“ Hergart verstaute das Säckchen in einer Tasche seines Wamses und versprach dem Lord: „Lass mich und meine Männer nur machen. Ihr solltet Euch jetzt in Sicherheit bringen - und vor allem ungesehen verschwinden. Es stünde Euch nicht gut, mit mir gesehen zu werden.“ Mit diesen Worten wand er sich ab und verschwand lautlos, fast katzengleich in den dunklen Schatten der verwinkelten Gassen. Lord Smiag von Theret, dessen ellenlange Ahnentafel bis zu den Gründern der Berg-Clans zurückging, lächelte kalt. „Noch ein blutiger Überfall, und König Thurivan kann sich nicht mehr halten. Das Volk wird ihn wegjagen, der Weichling konnte ja nicht einmal für den Schutz eines Festes sorgen. Und dann werde ich an seine Stelle treten. Der Dummkopf hat sich nie Gedanken darüber gemacht, dass ich, Lord Smiag, aufgrund der Erbfolge nun formelles Oberhaupt der Berg-Clans bin. Chaarrach ist ja tot, der Meuchelmörder hat ihn letzte Nacht erwischt. Ich und nur ich kann für Frieden sorgen. Das wird auch der letzte Gemeine begreifen.“ Mit diesen Gedanken begab sich der Lord auf den Weg zurück zum Palais der Therets

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Es war ein kurzer, aber grausamer Kampf. Die Stadtwachen waren völlig ahnungslos und wurden völlig überrumpelt. Hergarts Männer waren geschickt postiert, und so konnten sie die Wachen auslöschen, bevor sie Verstärkung herbeiholen konnten. Auf dem Fest bemerkte kaum einer, dass etwas ungewöhnliches vorging - und die, die es bemerkten, waren schon tot. Langsam und unaufhaltsam begannen die Männer, den Marktplatz zu umkreisen. Niemand achtete auf sie, denn jetzt nahte der Höhepunkt des Festes: Nathalias Tanz der Erde. Hell und klar durchnitten die ersten Töne der Schalmei die Luft, eine Laute, die von einem elfengleichen Wesen gespielt wrude, fiel ein. Und Nathalia tanzte. Sie wiegte sich im Rhythmus der Klänge, geschmeidig und anmutig, wurde eins mit der Musik. Die bunt wimmelnde Masse der Zuschauer verschwamm vor ihren Augen und das vertraute Gefühl des Gabe stellte sich ein. Doch diesmal war etwas anders - während Nathalias Körper unbeirrt der Musik folgte, sah sie nicht in die ferne Vergangenheit, in der das Lied und der Tanz der Erde entstand. Ihr Geist wurde gepeinigt von Dissonanzen, schemenhaft sah sie Gestalten, hörte Wortfetzen. Klarer und klarer wurde das Bild vor dem inneren Auge der Tänzerin. Bis sie die Wahrheit erkannte. Das Komplott, dass Lord Smiag schmiedete lag wie ein offenen Buch vor ihr. Sie sah auch die Gefahr für das Publikum - ihr Publikum. Einfache Menschen, Bauern und Kaufleute, Händler, Mütter und Kinder. Schutzlos den bösen Plänen des Lords ausgeliefert und viele von ihnen sollten dafür geopfert werden. Und sie war nicht imstande, sich aus dem Zauber des Tanzes lösen, niemanden warnen

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Brombar, der sein Kurzschwert unter seinem Umhang verborgen hielt, liess seinen Blick über die Menge gleiten. Er suchte Hergart, der das letzte Signal zum losschlagen geben sollte. Dicht gedrängt standen die Menschen um das Podium, auf dem Nathalia tanzte. Sein Blick blieb kurz bei der Tänzerin haften und schweifte dann weiter. Er konnte Hergart nicht finden, und so wand er sich wieder dem Spektakel zu, dass vor ihm geboten wurde. Vielleicht war der Kreis ja noch nicht geschlossen, dachte sich der gedungene Attentäter.

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Verzweifelt kämpfte Nathalia gegen die Trance, in die sie der Tanz der Erde gezogen hatte. Der Kreis der Attentäter hat sich fast geschlossen, als sich ein Gedankenfunke unter Nathalias denken mischte: „Die Seelen, Nathalia. Hole Dir die Seelen“ flüsterte eine Stimme im Kopf der Tänzerin. „Ich bin die Macht der Erde, und niemand stört meinen Tanz“. Und Nathalia griff mit ihren Gedanken hinaus. Drang ein in Brombar und zog das feine Gespinst der Seele zu sich, Hergart war der nächste, der einäugige Soller, Umbar, der bärtige. Einem nach dem anderen entzog Nathalia die Seele, während sie weiterhin den Tanz der Erde tanzte, der sich langsam dem Ende zuneigte. Zuletzt griff sie nach Lord Smiag, der ebenso wie die anderen von Nathalia der Seele beraubt und von der Macht der Erde in Stein verwandelt wurde. Und mit jeder Seele, die sich die Tänzerin nahm, verlor sich etwas von der lodernten Leidenschaft, die Nathalia in sich trug. Langsam löste sich der Bann von der Tänzerin. Sie kam langsam wieder zu sich, öffnete die Augen. Ihr Blick glitt suchen über den Marktplatz, die Menschenmenge, die bereits begeistert Beifall spendete. Es war keine Gefahr zu spüren oder zu entdecken. Schwäche überkam sie, der Zwerg und das elfengleiche Wesen konnten sie gerade noch auffangen und zum Planwagen bringen, Nathalia hatte das Bewusstsein verloren.

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Die Menge zerstreute sich langsam. Überraschte Rufe wurden laut, erst an einer Stelle, dann aber immer mehr, bis der ganze Platz von ungläubigen Ausrufen hallte. Rings um das Viereck des Marktes standen Statuen, die vor dem Fest noch nicht da waren. Meisterwerke der Steinmetzkunst, lebensecht, wie es eigentlich nur Zwerge vollbringen können. Verwirrt standen die Menschen um diese neuen Kunstwerke, bewunderten die Kunstfertigkeit und rätselten, woher die Statuen kamen. Und in Nathalias Unterbewusstsein murmelte leise die Stimme - wie zum Abschied: „Niemand stört den Tanz der Erde“. Kurze Zeit später wurden die toten Stadtwachen gefunden, doch zu diesem Zeitpunkt war die Tanztruppe schon wieder unterwegs in ihrem rumpelnden Planwagen. Niemand wird je erfahren, in welcher Gefahr die Bewohner der Stadt der gestohlenen Seelen schwebten. Die Tänzerin aber tanzte den Tanz der Erde nie wieder.

 

© Claus Meurer
 
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